von Thomas Rammerstorfer
Die Neue Deutsche Härte und das Neue Deutsche Selbstmitleid: Sacha Korn und Dee Ex sind die Shooting Stars des Rechtspop.
Das Rezept ist einfach, die Rezeptur wurde Ende der 80er von den „Boehsen Onkelz“ erfunden und gilt als unübertroffen: 1. Man tut alles, um für einen Nazi gehalten zu werden. 2. Wenn einen dann wer einen Nazi nennt, schreit man auf: Hilfe, ich werde verfolgt! Antifa, die jüdische Weltverschwörung, das Finanzkapital, die Musikindustrie und womöglich noch der Osterhase wollen mich vernichten. Ich bin Märtyrer für Deutschland. Kauft meine Platten und kommt zu meinen Konzerten.
Boehse Onkelz: Deutschlands erste Ich-AG
Seit Jahren sind Selbstsucht und Selbstmitleid zentrale Themen nicht nur offen rechter Popmusik. Hits wie „Es ist geil ein Arschloch zu sein“[1] und Werbeparolen wie „Geiz ist geil!“ sprechen eine deutliche Sprache. Die wichtigsten Textlieferanten für das „Jeder gegen Jeden“- Prinzip waren die Boehsen Onkelz, deren Erfolgsjahre 1990 – 2005 mit der Blütezeit des Neoliberalismus zusammenfielen. „Ich bin wie ich bin“, „Ich mache was ich will“ oder schlicht „Ich“ betitelten sie ihre Stücke, während das „wir“ meist nur in Form eines betrunkenen Mobs zum Vorschein wurde. Die Ideologie der Onkelz steht so dem Neoliberalismus deutlich näher als dem Neonazismus. Gemeingefährlichen Egoismus lebten sie auch privat konsequent aus: Sänger Kevin Russell verbüßt gerade eine Haftstraße wegen Fahrerflucht, weil er zwei von ihm bei einem Autounfall schwer Verletzte in Stich gelassen hatte. Nichtsdestotrotz: Auch Jahre nach ihrer Auflösung 2005 sind die Onkelz die vermutlich einflussreichste Band Deutschlands, zahlreiche Cover-Bands wandeln auf ihren Spuren, Theaterstücke und Bücher beleuchten ihre Karriere. Den Erfolgszug des Deutschrock-Genres, von Bands wie Rammstein, Unheilig, Subway To Sally, Frei.Wild oder Haudegen, aber auch der rechtsextremen Rockmusik wurde durch BO der Weg geebnet. In der rechtsextremen Szene sind sie trotz aller Distanzierungen weiterhin Kult: Bei weitem nicht jeder Onkelz-Fan ist ein Nazi, aber nahezu jeder Nazi ist Fan der Truppe, die sich selbst als „Gehasst, Verdammt, Vergöttert“[2] sieht.
Korn Ex
„Warum hasst mich die ganze Welt?“[3] fragt sich auch die Berliner Rechts-Rapperin Dee Ex. Die Antwort kennt sie: Nicht ihre dünnstimmigen Raps sind der Grund, nein: Sie liebt Deutschland.
Dee Ex ist ein Kind unserer Zeit. Die neoliberale Ellbogengesellschaft produziert jede Menge VerliererInnen. Diese Masse scheint sich nach Belieben von Medien, MusikerInnen und rechten Parteien gegeneinander aufhetzen und ausspielen zu lassen. Fleißig darf sie an ihren eignen Untergangsmelodien mitbasteln: do it yourself. Das von Oben diktierte Gegeneinander ist zum scheinbar natürlichen Wunsch geworden.
Sacha Korn wiederum, ebenfalls aus Berlin, wird von der Welt nicht nur gehasst, sondern gar aus ihr verbannt, zumindest seinem trübsinnigen Gesinge zu Folge: „Warum werd ich dann verbannt, wenn ich sage: Ich liebe dieses Land?“[4], fragt er sich. Gut 15 Jahre lang versuchte Korn mit einer wenig originellen Mischung aus Eurodance, Rap und Rock im Stil des russischen Duos T.A.T.U. sein Publikum zu finden, was ihm nur in bescheidenem Ausmaß gelang. Schließlich näherte er sich mehr und mehr der rechten Szene an, die ihn begeistert in ihrer Mitte aufnahm. Lieber der strahlende Stern der Fascho-Szene als weiterhin nur ein Glühwürmchen internationalen Popbiz, scheint er sich gesagt zu haben.
Sacha Korn und Dee Ex wissen auch: Ihre Karrieren scheitern nicht an mangelndem Talent oder Fleiß, nein, einflussreiche Kreise (die jüdische Weltverschwörung?) beherrschen die Musikindustrie, und deshalb haben aufrechte PatriotInnen dort keine Chance. Dabei sind die Texte der ProtagonistInnen des Neuen Deutschen Selbsmitleids keinesweg radikal, im Gegenteil. Nationaler Egoismus a la Angela Merkel wird als Heilsrezept angepriesen. Persönliche Kränkungen und Misserfolge werden mit einer angeblichen Unterdrückung Deutschlands zusammengedacht, das Ergebnis ist mal hochgradig paranoid, mal geradezu rührend spießbürgerlich. Die Nöte des Mittelstands, der sein sorgsam Erspartes in Krisenzeiten in Gefahr wähnt, sind etwa Thema bei Korn: „Heute heißt die erste Pflicht, unser Geld das kriegt ihr nicht!“[5] ist sein Rat. Am besten im Garten vergraben.
Unternehmer und Millionäre gegen den Kapitalismus
Die Anti-Kapitalismus-Rebellen-Pos(s)e findet gerade unter den Verdammten dieser Erde nicht wenige AnhängerInnen. Nicht der Kapitalismus selbst sei ein Übel, an dem viele mitwirken (Korn selbst ist im Zivilberuf Unternehmer), sondern nur vereinzelte böse Kapitalisten, so die Botschaft. Die heißen bei Dee Ex Rothschild und Rockefeller, vielleicht auch noch Zuckerberg; Hauptsache irgendwie jüdisch. Ein Prinzip, dass uns bereits in früher Kindheit anhand der Comic-Beispiele von Mr. Krabbs, Dagobert Duck und Montgomery Burns vermittelt wird: Bilder, die haften bleiben.
Auch der ehemalige Schlagzeuger der Onkelz, Peter Schorovsky, hat ein neues Betätigungsfeld gefunden. Musikalisch nur mehr geringfügig beschäftigt und ebensowenig erfolgreich, schreibt er nun an gegen die „Hochfinanz“: „Deutschland und Europa wird von der westlichen Hochfinanz verarscht“ (sic), schreibt er, denn „Die Strategen der Hochfinanz agieren stets bis zur Schmerzgrenze“, und „Was früher die Kirche war, ist heute die Hochfinanz“, aber Obacht, denn „Die Hochfinanz schafft alles zur Seite, was ihr in den Weg kommt“[6]. Das Leben ist also schwer, so umgeben von lauter Hochfinanzlern, meint selbst der Plattenmillionär.
[2] Songtitel der Boehsen Onkelz
[3] Titel „Deutschland, mein Heimatland“
[6] Kolumne „Europa“ vom 31. 7. 2011, siehe http://www.sinfin-rox.de/j2ee/Kolumne/index.jsp