Die oberösterreichischen Behörden versagen im Kampf gegen Neonazis auf der ganzen Linie. Das Problem liegt nicht beim Verfassungsschutz alleine
Als ich im März 2010 erstmals auf den Neonazi-Club „Objekt 21“ stieß, dachte ich diese Angelegenheit würde sich innerhalb weniger Wochen erledigen. Die „Objektler“ agierten nahezu absurd dilettantisch. Tätowierte Hakenkreuze, völlig offensichtliche NS-Propaganda im Internet, SS-Runen als Wanddekoration, dazu kriminelle Aktivitäten. Der Kopf der Bande, Jürgen W., ein fanatischer Nazi, war zudem den Behörden bestens bekannt. Seit 2001 wurde er regelmäßig einschlägig verurteilt – in Oberösterreich ein Kunststück! – zuletzt 2009, wo er einen „Kampfverband Oberdonau“ leitete. Im Frühling 2010 also hätte es ohne jeden Zweifel mehr als genug Beweise gegeben, die Gruppe zu zerschlagen. Es dauerte aber noch fast drei Jahre, ehe die Behörden tatsächlich durchgriffen.
Fast drei Jahre, in denen die Ermittlungen von verschiedensten Stellen hintertrieben, verraten, verschleppt und sabotiert wurden. Als sich im August 2010 der Verfassungsschutz zu einer ersten Hausdurchsuchung aufraffte, war die Bande aus Kreisen der Vöcklabrucker Polizei vorgewarnt. Die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck sollte noch bis zum nächsten Jahr brauchen, um zumindest den Verein aufzulösen. Die Staatsanwaltschaft Wels zögerte trotz eindeutigster Beweislage jahrelang mit einer Anklageerhebung.
Fast drei Jahre, in denen die Neonazis ihre Aktivitäten intensivieren und professionalisieren konnten. Eine Firma wurde gegründet, mehrere Rotlicht-Unternehmen übernommen, ein Versand für Fascho-Brimborium entstand; parallel dazu veranstaltete man weiter Nazi-Konzerte und nistete sich in zahlreichen Nischen krimineller Ökonomie ein: Frauenhandel, Waffenhandel, Drogenhandel, ja selbst Handel mit gestohlenem Metall wird der Bande vorgeworfen. Dazu noch Brandanschläge, Körperverletzungen und zahllose weitere Delikte. Woche für Woche neue Verbrechen. Die Behörden schauten zu, schauten weg, was auch immer.
Fast drei Jahre, in denen die Nazi-Mafiosi in aller Öffentlichkeit agierten. Allein die Tageszeitung „Österreich“ widmete der Bande 21 (!) Artikel – vor dem Zugriff der Polizei im Jänner 2013. Bei meinen Vorträgen in diesen Jahren an Schulen oder Jugendzentren im Bezirk Vöcklabruck musste ich feststellen, dass das Treiben der „Objektler“ selbst unter 15-jährigen in der Region allgemein bekannt war. Und schon 2011 räumte ein Verfassungsschützer ein, die Bande würde auch in Drogen und Waffen machen.
Fast drei Jahre, in denen der ab 2010 (wegen seiner Delikte mit dem „Kampfverband Oberdonau“) inhaftierte Jürgen W. die Geschicke der Gruppe weiterhin leiten konnte, aus dem Knast, via Handy und facebook. Als „Suben Knaki“ ist W. dort registriert, ebenso wie die andren Köpfe der Bande problemlos auszuforschen. Um die Ermittlungen der Polizei abzukürzen, hätte auch ein Blick auf facebook genügt, wo „Objekt 21“ über eine offen einsehbare Fanseite verfügt, Rubrik „Lokales Geschäft“.
Wohl noch nie in Österreich hat eine dermaßen kriminelle, wenn nicht terroristische Organisation so lange und so ungeniert in aller Öffentlichkeit agieren können. Der Fehler ist sicher nicht nur beim Verfassungsschutz zu suchen. Polizei, Justiz, die Bezirkhauptmannschaft und die Landespolitik haben kollektiv versagt. Die Details dieses Versagens müssen schleunigst aufgedeckt werden.
Auch sollte an Menschen gedacht werden, die in der bisherigen Diskussion nicht erwähnt wurden: Den Opfern. Wenn tatsächlich auch Menschenhandel und Zwangsprostitution im Spiel waren, wäre es interessant zu erfahren, ob und wie man den Betroffenen helfen kann bzw. sie vor eventuell drohenden fremdenpolizeilichen Repressalien schützen kann.
Thomas Rammerstorfer beschäftigt sich mit Rechtsextremismus und Jugendkulturen (Vortragsreihe „Brauntöne“). Er ist aktiv beim Infoladen Wels und Vorstandsmitglied der Welser Initiative gegen Faschismus.