Sehr geehrte Damen und Herren,
ich möchte Sie im Namen der Welser Initiative gegen Faschismus zu der Gedenkfeier für die Opfer der Todesmärsche ungarischer Juden 1945 und des Genozids an den ArmenierInnen 1915 sehr herzlich begrüßen.
Im Frühjahr 1945 wurden die ungarischen Juden und JüdInnen auf Todesmärschen quer durch die damalige „Ostmark“ getrieben, u. a. durch Thalheim und Wels in das KZ Gunskirchen. Tausende starben während oder an den Folgen der Deportation.
Am 24. April 1915 begann mit einer Verhaftungswelle im damaligen Osmanischen Reich der Völkermord an den ArmenierInnen und anderer christlicher Minderheiten. Der Großteil der Opfer starb auf Todesmärschen in die Wüste des heutigen Syriens.
Zwei historische Ereignisse, die bei allen Unterschieden in Zeit und geographischem Raum auch jede Menge Parallelen aufweisen. In beiden Fällen wurde eine Bevölkerungsgruppe immer wieder für Krisen und Niederlagen verantwortlich gemacht, des Verrates und der Verschwörung beschuldigt, bis die rassistischen Vorurteile schließlich in genozidaler Raserei gipfelten. Aus diesem Grund wollen wir der Ereignisse heuer gemeinsam gedenken.
„Wer spricht den heute noch von den Armeniern?“ fragte Adolf Hitler am 22. August 1939. In wenigen Tagen sollten die Nazis Polen überfallen, die Pläne für die industrielle Massenvernichtung des europäischen Judentums nahmen Gestalt an. Hitler war über den Völkermord an den ArmenierInnen informiert, er befragte damals in der Region aktive Beamte zum Thema. Der Genozid war ohne Folgen geblieben, die Täter meist ungestraft davon gekommen, die Opfer nie entschädigt; das Vergessen erlaubte das Wiederholen, zumindest nach den unmoralischen Maßstäben der Nazis. Zum Vergessen leisteten sie ihren aktiven Beitrag: Franz Werfels „40 Tage des Musa Dagh“, dass die Tragödie des armenischen Volkes – wie Werfel es ausdrückte – „dem Totenreich alles Vergessenen entreißen“ wollte, wurde in Nazideutschland verboten und verbrannt.
Warum die Armenier? Warum die Juden?
Diese Fragen drängen sich zwangsläufig auf. Fremdenhass und Vorurteile richten sich gegen viel ethnische und religiöse Gruppen, aber nur in den seltensten Fällen führen sie zum Genozid. Ich möchte versuchen, mich einer Antwort anzunähern.
Wie die Jüdinnen und Juden in vielen europäischen Staaten waren den ArmenierInnen und anderen Angehörigen der christlichen Minderheit viele Berufe verwehrt. Eine Beamten- oder Offizierslaufbahn war nicht erlaubt. Ein, gemessen an der Gesamtbevölkerung, relativ großer Teil war deswegen im Handel und im, bei Muslimen damals verpönten, Bankenwesen aktiv. In Krisenzeiten, und das Osmanische Reich befand sich in den letzten Jahrzehnten seiner Existenz immer in Krisenzeiten, gab die armenische Bevölkerung einen nachgerade optimalen Sündenbock.
Antisemitische und antiarmenische Stereotype ähnelten und ähneln sich auf frappierende Art und Weise: Rassistische Eiferer zeichneten das Bild eines gierigen, verschlagenen Volkes, das mit ausländischen Mächten kooperiert und sich gegen das Heimatland stellt. Ein Volk, das noch dazu eine gewisse Affinität zu demokratischen, liberalen oder gar revolutionären und sozialistischen Ideen hatte – wie viele benachteiligte Minderheiten damals.
„Der Armenier ist wie der Jude, außerhalb seiner Heimat ein Parasit, der die Gesundheit des anderen Landes, in dem er sich niedergelassen hat, aufsaugt.“ befand der deutsche General Fritz Bronsart von Schellendorf.
Wie die ArmenierInnen waren auch die JüdInnen nicht von einem Rassismus gegen vermeintlich Dümmere oder Minderwertigere betroffen. Vielmehr wurde ihnen besondere Intelligenz nachgesagt, eine boshafte Intelligenz, die sie stets nur zu ihrer eigenen Bereicherung nutzten.
Schon im 19. Jahrhundert starben zigtausende ArmenierInnen bei Pogromen. Ihre bürokratisch organisierte Vernichtung sollte 1915 beginnen. Kurz davor hatten die Turanisten die Macht im Osmanischen Reich übernommen, eine ultranationalistische, rassistische Bewegung. Ihre ideologischen Wiedergänger sind heute als „Graue Wölfe“ bekannt und aktiv.
In den Wirren des Ersten Weltkrieges, an dem das Osmanische Reich an der Seite Österreich-Ungarns und Deutschlands kämpfte, sahen die Turanisten die Möglichkeit ihre Pläne zu realisieren: Ein von den ethnischen Minderheiten gesäubertes, groß-türkisches Reich. Insbesondere gen Osten strebte man die Vereinigung mit den Turkvölkern des Kaukasus und darüber hinaus an. Mit der Vernichtung der ArmenierInnen wollte man sich diesem geographischen und bevölkerungspolitischen Ziel annähern. Darüber hinaus hatte die Vernichtung simple materielle Gründe: Der geraubte Besitz von rund 2 Millionen Menschen sollte dem türkischen Volk über die Folgen von Krieg und Krise hinweghelfen – eine weitere Parallele zur Shoah, wo das Beutegut der deutschen Bevölkerung half, den Krieg durchzustehen.
Die Anzahl der Getöteten ist bis heute umstritten: Manche Quellen sprechen von Hunderttausenden, andere von bis zu 2 Millionen. „Gerechte“ gab es auch damals; eine ganze Reihe türkisch-muslimischer Landräte und Provinzgouverneure wurde wegen ihrer Weigerung, sich am Völkermord zu beteiligen, abgesetzt oder gar ermordet. Dafür stand das deutsche Militär den Mördern zur Seite und beteiligte sich an der Ausrottung ihrer christlichen Glaubensbrüder; das ebenfalls verbündete Österreich-Ungarn schwieg aus bündnistaktischer Rücksichtnahme.
Kobane, Dair az-Zaur, Al Rakka,… Stationen des armenischen Kreuzweges in die Wüste, ins Nichts, wo die, die die Todesmärsche überlebt hatten, ihr Ende fanden. Hundert Jahre später ist in diesen Killing Fields der so genannte „Islamische Staat“ an der Macht, der wiederum die christlichen und viele andere Minderheiten mit mörderischem Hass verfolgt. Das passiert heute, in diesen Tagen.
Mit diesem Ankommen im Hier und Jetzt möchte ich schließen, er soll uns zeigen, dass es mit dem Gedenken längst nicht getan ist, dass das Töten nicht vorüber ist. In einigen Teilen der Welt können Angehörige der armenischen Minderheit nicht in Frieden und Sicherheit leben; ebenso wenig wie die Juden und Jüdinnen, die nach wie vor Zielscheibe rassistischer und religiöser Fanatiker werden.
Aber wenn jemand fragt: „Wer spricht heute noch von den Armeniern?“, dann kann man sagen: „Wir!“. Und wir werden so lange von ihnen sprechen, bis auch die Offiziellen der Republik Türkei einen Versöhnungsprozess beginnen und ihre historische Verantwortung eingestehen. Als Bewohner eines Landes, das viele Jahrzehnte seine Mitverantwortung für die Vernichtung der Juden leugnete, weiß ich, das kann lange dauern, aber irgendwann klappt es bestimmt. Danke.
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