Archiv für den Monat: September 2015

An vielen Grenzen

aus: KUPF-Zeitung Nr. 155

Im Frühling waren Aktivistinnen der oberösterreichischen Fraueninitiative Mirabal im türkisch-syrischen Grenzgebiet unterwegs. Thomas Rammerstorfer hat sie begleitet. Bilder einer Region auf der Schwelle zum Krieg.

Diyarbakır, auf kurdisch Amed, wird gerne als die heimliche Haupstadt Kurdistans bezeichnet. Von Heimlichkeit ist aber nicht mehr viel zu sehen. Die pro-kurdische Partei regiert hier mit satter Mehrheit, die Straßen und Souvenirstände sind geprägt von den kurdischen Farben: rot, gelb, grün. Selbst in Amtsgebäuden hängen Öcalan-Portraits. Die Türkei scheint hier weit weg. Sie ruft sich in Erinnerung durch gepanzerte Wasserwerfer und Räumfahrzeuge, die an allen großen und vielen kleineren Kreuzungen stehen – Tag und Nacht, mit eingeschaltetem Blaulicht, eine Erinnerung an die erodierende Macht des Zentralstaates: hallo, wir sind auch noch da! Jedes dieser weißen Fahrzeuge ist gesprenkelt durch unzählige dunkle Punkte; dort wurden sie von Steinwürfen getroffen, der Lack ist ab.

Überall in Kurdistan im Frühling 2015. Nach drei Jahren bin ich wieder in dieser Gegend. Einiges hat sich verändert. Trotz des Krieges in Syrien, trotz Elends, Unterdrückung – die Menschen gehen hier jetzt aufrechter. Man hat in Syrien den IS besiegt, freilich noch nicht ganz; aber das von der YPG gehaltene Gebiet hat sich 2015 verdoppelt. Hier beginnt man damit den „demokratischen Konföderalismus“, einen basisdemokratischen, ausgesprochen pro-feministischen Sozialismus umzusetzen. Staat will man keinen. Staaten haben genug Schaden angerichtet.

Flüchtlingslager für YezidInnen, in der Nähe von Amed (Diyarbakır). Die KurdInnen haben ein Mädchenzentrum eingerichtet. Hier wird unterrichtet, gebastelt, Tee getrunken. Die Fraueninitiative Mirabal kauft mit Spendengeldern das Nötigste. Vor 8 Monaten ist die Welt der Mädchen in einem Inferno aus Mord, Vergewaltigung und überstürzter Flucht untergegangen. Jetzt sitzen sie hier, ernst und fleißig bei der Handarbeit, unter einem Poster, das KämpferInnen der kurdischen Frauenverteidigungseinheiten zeigt.

Diyarbakır. Ein Gespräch mit Feleknas Uca. Als Yezidin in Deutschland geboren, war sie Abgeordnete im EU-Parlament für die „Linke“ (seit Juni ist sie Abgeordnete der HDP im türkischen Palament). Als der IS im Sommer 2014 mit dem Völkermord an den irakischen YezidInnen begann, zog sie in die Region und hilft seither vor Ort. Sie ist müde, war die ganze Nacht im Irak unterwegs, aber unermüdlich. Die yezidische Gesellschaft wurde vernichtet. Die Überlebenden sind irgendwo in der Region verstreut, in Flüchtlingslagern, in den Bergen, manche haben sich der YPG oder PKK angeschlossen. Andere, insbesondere Frauen, wurden gefangen, versklavt und verkauft. Uca hilft etwa dabei, befreite Sklavinnen zu ihren Familien zurückzubringen. Oder was davon übrig ist. Was sie erzählen, was Uca erzählt, ich will es nicht wiedergeben. Haben wir 2015? Sind wir Menschen?

Diyarbakır (nein, Amed!) Frühling 2015. Ein Taxifahrer klappt seine Brieftasche auf und zeigt mir ein Bild Abdullah Öcalans. „Das ist mein Vater“, sagt er.

Grenze zu Kobane, Frühling 2015. Wenn man diese Schlacht mitverfolgt hat, über Tagen, Wochen, Monate, via Twitter, Streams und You Tube-Videos, dann hat man das Gefühl nun vor einer Filmkulisse zu stehen. Mehr sogar, plötzlich auf irgendeine Art und Weise in eine Filmszenerie gesaugt worden zu sein. Da steht er, der Sendemast, auf den der IS seine Flagge gehisst hat. Jetzt wehen dort der rote, der grüne und der gelbe Streifen Kurdistans über der Stadt. Die ist weitestgehend zerstört. Wir sind sprachlos.

Amed, Frühling 2015. Ich interviewe einen Aktivisten der PKK. „Die PKK ist nicht die Partei der Kurdinnen und Kurden, sondern aller Menschen, die hier leben. Egal ob türkisch, kurdisch, armenisch, arabisch. Wir setzen uns für alle Unterdrückten ein. Auch für die Homosexuellen, denn die sind auch ein unterdrücktes Volk.“

Grenze zu Kobane, Frühling 2015. Wir stehen seit einer Stunde am Grenzzaun, filmen, fotografieren, gucken durch Ferngläser, die uns Einheimische gereicht haben (sie stehen jeden Tag hier, sagen sie). Fünf türkische Soldaten kommen. Junge, unsichere Burschen, in zu großen Uniformen und mit zu großen Gewehren. Hier dürfe man nicht filmen und fotografieren, sagen sie, und wir machen das jetzt schon eine Stunde, und jetzt sollten wir endlich aufhören. Recht überzeugend klingen sie nicht, aber wir sind ohnehin am Aufbrechen. Ich denke, hoffentlich bekommen die Jungs keinen Ärger mit ihren Vorgesetzten, und heute denke ich mir außerdem noch, hoffentlich werden sie nicht von der PKK erschossen. Oder erschießen sich selbst, aus Versehen oder aus Verzweiflung. Es kommt mir gar nicht in den Sinn, dass sie wen töten könnten, so unschuldig haben sie ausgesehen.

Amed, Frühling 2015. Ich interviewe einen Aktivisten der PKK. Er kommt gerade aus dem Gefängnis, Dort wurden wir sehr gut geschult. Es droht ihm eine weitere Gefängnisstrafe, vielleicht noch acht Jahre, vielleicht elf. Ob er nach Syrien gehen würde, kämpfen? Sicher, wenn die Partei es so beschließt. Und wenn er nicht möchte? Dann würde die Partei das auch akzeptieren. Es würde Kritik geben, aber sie würde es akzeptieren.

Flüchtlingslager für KurdInnen in Suruç, Frühling: Die Kinder sind gut gelaunt und lassen in Sprechchören Abdullah Öcalan, die PKK und die YPG hochleben. Sie freuen sich aufs älter werden, sagen manche, dann können sie endlich in den Krieg ziehen.

Suruç, Frühling. Der Park des Amara-Kulturzentrums ist eine schattige, grüne Oase in dieser Stadt, in der überall alte Autos und Pferdekarren um die Wette stinken und stauben. Wir albern etwas rum, schießen Erinnerungsfotos auf den schönen Holzstühlen. Die Stühle sehe ich im am 20. Juli wieder auf Fotos, sie sind umgekippt, verstreut, dazwischen liegen die Leichen von 33 Jugendlichen.

Factbox
Seit 1984 kämpfen die KurdInnen in der Türkei unter Führung der kurdischen ArbeiterInnenpartei PKK um mehr kulturelle und soziale Rechte. 2013 erklärte die PKK eine Waffenruhe und ihren Rückzug aus der Türkei in den Nordirak. Nach dem Anschlag des IS in Suruc, an dem die KurdInnen der Türkei Mitschuld geben, und Angriffe der Türkei auf die PKK-Stellungen im Irak wurde die Waffenruhe beendet. Seither sterben wieder nahezu täglich Menschen bei den Auseinandersetzungen.
Die HDP, Halkların Demokratik Partisi, ist eine Partei der pro-kurdischen und anderer progressiver Kräfte in der Türkei. Sie zog im Juni 2015 ins Parlament ein und verhinderte so eine neuerliche absolute Mehrheit der AKP. Noch wurde aber keine Regierung gebildet, wahrscheinlich gibt es im November Neuwahlen. Viele Menschen werfen der AKP vor, die Lage in den kurdischen Gebieten bewusst eskaliert zu haben, um bei Neuwahlen doch noch die absolute Mehrheit zu erlangen.
In Syrien kämpft die Schwesterpartei der PKK, die PYD bzw. deren bewaffnete Arme, die Volks- bzw. die Frauenverteidigungseinheiten (YPG bzw. YPJ) gegen den IS. Dabei kooperieren sie recht erfolgreich mit der US-geführten Koalition und den irakisch-kurdischen Peshmerga.

Thomas Rammerstorfer lebt in Wels, ist u. a. aktiv bei der Welser Initiative gegen Faschismus und der Liga für emanzipatorische Entwicklungszusammenarbeit (www.leeza.at)

28. 10. 2015: Flüchtlinge in der Türkei – ein Reisebericht (Linz)

Termin
Mittwoch, 28. Oktober 2015, ab 18:30 Uhr

Ort
Interkulturelles Begegnungszentrum Arcobaleno, Friedhofstraße 6, 4020 Linz

Inhalt

Thomas Rammerstorfer und Evrim Kutooglu nahmen im Frühling an einer Solidaritätsreise zu zwei Flüchtlingslagern an der türkisch-syrischen Grenze teil. Die Bewohnerinnen und Bewohner stammen aus den von den IS-Milizen verwüsteten yesidischen Siedlungsgebieten im Irak und um Kobane (Syrisch-Kurdistan). In einem mit vielen Bildern unterlegten Vortrag berichten die Beiden von ihren Eindrücken und der aktuellen Lage in der Region.

Dauer der Veranstaltung: 18:30 – 20:00 Uhr
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15. 10. 2015: Thomas Schmidinger: Jihadismus und Radikalisierung (Linz)

MS (num. Sitzpl.): € 11/13/15 (Einzelpreis)
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Mit den politischen „Erfolgen“ des Terrornetzwerks Islamischer Staat und der Zunahme jihadistischer Kämpfer aus Europa in Syrien und im Irak erfährt diese wachsende Bewegung auch in Österreich stärkere Aufmerksamkeit. Mit diesem Vortrag wird durch eine rationale Auseinandersetzung versucht, die Ursachen für die Radikalisierung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu erörtern und Gründe für die Attraktivität des Jihadismus für junge Menschen in unserer Gesellschaft zu erforschen.

Der Politikwissenschafter Thomas Schmidinger, der sich seit Jahren mit dem Nahen Osten und verschiedenen Formen des politischen Islam beschäftigt, hat im Sommer 2014 gemeinsam mit dem islamischen Religionspädagogen Moussa al-Hassan Diaw das „Netzwerk Sozialer Zusammenhalt“ zur Deradikalisierung jihadistischer Jugendlicher und junger Erwachsener und Präventionsarbeit in diesem Bereich gegründet.

In seinem Vortrag analysiert er nicht nur die Ideologie eines „Gottesstaates“, sondern berichtet auch anhand der praktischen Erfahrungen des Netzwerks über Interventionsmöglichkeiten gegen das Abgleiten in den Jihadismus.

Moderation: Thomas Rammerstorfer
Posthof Linz, 20 Uhr

Thomas Schmidinger, Dunja Larise, Zwischen Gottesstaat und Demokratie: Handbuch des politischen Islam, 2008, Deuticke Verlag
Thomas Schmidinger, Krieg und Revolution in Syrisch-Kurdistan: Analysen und Stimmen aus Rojava, 2014, Mandelbaum Verlag

http://www.posthof.at/denkzonen
http://homepage.univie.ac.at/thomas.schmidinger/
http://www.hanser-literaturverlage.de/
http://www.mandelbaum.at/

29. 9. 2015: Wels nach der Wahl – Wels vor der Wahl?

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Nöfas Cafe-Bar
Schubertstr. 9, 4600 Wels

Am Dienstag nach den Landtags-, Gemeinderats- und BürgermeisterInnenwahlen wollen wir alle FreundInnen und Mitglieder der Welser Initiative gegen Faschismus einladen um die Ergebnisse zu besprechen – und die Zukunft.

Moderation: Thomas Rammerstorfer

24. 9. 2015 in Wels: Schall & Rauch – das Denken der Weltverschwörungstheoretiker

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Die Medien werden zentral gesteuert. 9/11 war ein „Inside Job“. Es gibt keinen Klimawandel. Hinter allen spektakulären Terroranschlägen der letzten Jahre stecken CIA und Mossad. Die Bilderberger, die Freimaurer, die Illuminaten, die Juden und/oder Satan regieren heimlich die Welt. Die Kondensstreifen von Flugzeugen sind in Wahrheit chemische Attacken um die Weltbevölkerung zu. Die meisten Naturkatastrophen werden künstlich erzeugt. Es gab nie eine Mondlandung. Nazis haben UFOs gebaut und Außerirdische die Pyramiden. Impfungen nutzen nur der Pharmaindustrie. Die Erde ist in Wirklichkeit hohl. Und auch hinter dem „Islamischen Staat“ steckt Israel.

Man könnte diese Aufzählung mehr oder weniger gängiger Verschwörungstheorien fortsetzen. Vermutlich sogar tagelang. Rechte und Linke, Islamhasser und AnhängerInnen des politischen Islams, ChristInnen jeder Facon, Sekten-, Esoterik- und Satans-Jünger, gutmütige Hippies und hasserfüllte Pöbler, sie sind sich oft in einem einig: Nichts ist so wie es scheint. Alles wird gesteuert. Die Geschichte ist nicht eine Geschichte der politischen, ökonomischen und sozialen Konflikte, sondern schlicht eine der Verschwörung mehr oder weniger unbekannter Mächte; je nach persönlicher Vorliebe mal gegen die „deutsche Rasse“, gegen das Christentum, gegen den Islam oder gar gegen die Menschheit an sich. Es gibt weder Zu- noch Unfälle. Überall steckt ein geheimer Plan dahinter, und der führt ins Verderben…

24. September 2015, 19.30
Ort: Medien Kultur Haus, Pollheimerstraße 17, 4600 Wels

Linzer SP & Graue Wölfe: Ein neuer Tiefpunkt.

Ich weiß ja gar nicht, was ich noch schreiben soll, zur Linzer SPÖ und ihren rechtsextremen Freunden von den „Grauen Wölfen“. Alles ist geschrieben, alles gesagt, die Karten sind am Tisch und geändert hat sich nichts, gar nichts. Nur dieses eine Foto noch! Das will ich euch nicht vorenthalten, weil es fast symbolisch ist für die Unverfrorenheit, ja für die Frechheit mit der Herr Luger seine Freundschaft pflegt.
Entstanden vor wenigen Tagen bei einem Empfang der SPÖ für ihre Kameraden aus dem Spektrum des politischen Islam und eben von Avrasya, dem Verein der faschistischen Grauen Wölfe. Der Herr neben Luger ist Kamil S. Kamil S. ist ein „Grauer Wolf“. Kamil S. ist vor nicht einmal einem Jahr recht bekannt geworden, er hat, während die Schlacht zwischen den KurdInnen und dem IS um Kobane tobte, unmissverständlich Stellung bezogen: „Ich hoffe, dass jeder YPG-PKK-Peschmerga Terrorist in Ain al Arab qualvoll verreckt.“ (Ain al Arab ist der arabische Name von Kobane).
Dafür wurde er berühmt: Standard, Kurier, profil, ungezählte antifaschistische und demokratische Organisationen und selbst die FPÖ haben ihn zitiert. Googeln sie mal „qualvoll verreckt“.
Und Herr Luger hat in diesen Tagen, während das Faschistenpack mordend und brandschatzend durch die Türkei zieht, nichts Besseres zu tun als diese Leute einzuladen und mit ihnen zu posieren.
Ich weiß ja gar nicht, was ich noch schreiben soll, zur Linzer SPÖ und ihren rechtsextremen Freunden von den „Grauen Wölfen“.
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