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Geeinte Rechte, zersplitterte Linke

Ein Kommentar zur Wahl 2024.

Der erste Platz für die FPÖ mit 28,8 % bei diesen Wahlen stellt ein Novum dar. Wahlergebnisse von an die 30 % für die rechtspopulistischen und/oder rechtsextremen Parteien in Österreich sind aber keines. Auch schon den letzten beiden Wahlen vor der „Flüchtlingskrise“ 2015 (und lange vor „Corona“) gab es ähnliche Wahlentscheidungen. Freilich trat Rechtsaußen nicht so geeint auf wie beim jüngsten Urnengang, die Stimmen verteilten sich auf mehrere Listen:

  • 2008 kamen die Rechtsparteien FPÖ und BZÖ sowie die Anti-EU-Liste „RETTÖ“ und die ultrakonservativen „Christen“ zusammen auf 29,61 %.
  • 2013 brachten es FPÖ, BZÖ, das rechtspopulistische „Team Stronach“ und die Christen-Partei auf insgesamt 30,11 %.

Erst der Aufstieg von Sebastian Kurz und der damit verbundene Mitte-Rechts-Kurs der ÖVP schwächte das Lager, vor allem nach den Wahlen nach dem Ibiza-Skandal 2019. Die „natur- oder gottgewollten Dreiteilung (Anmerkung: in ein rechtes, ein konservatives und ein linkes Lager) Österreichs“ scheint sich doch aber seit mittlerweile gut 100 Jahren immer wieder zu bestätigen. Wobei die Urheberschaft für das Zitat ebenso umstritten ist wie die Urheberschaft von Natur oder Gott für die „Dreiteilung“. Vorbedingung für den Sieg der FPÖ 2024 war die Einigung des rechten Lagers. Kickl gelang der Spagat zwischen Konservativen, Extremisten und völlig durchgeknallten Verschwörungsphantasten. Die einzige antretende Konkurrenz im rechten Lager, MFG, hatte sich seit ihren Erfolgen 2021 konsequent selbst zerstört und blieb mit 0,41 % abgeschlagen. Von rechten Medien wurde die MFG konsequent ignoriert, was auch zu ihrer Marginalisierung beitrug.

Auf der linken Seite hingegen trat man völlig zersplittert an. SPÖ und GRÜNE bekamen Konkurrenz nicht nur von der erstarkten KPÖ und der hochgejazzten „BIER“-Partei (2,39 % bzw 2,02 %). Auch KEINE, Madeleine Petrovic (LMP) und GAZA konnten insgesamt 1,55 % ansonsten wohl mehrheitlich links wählende Stimmen „erfolgreich unschädlich“ machen. Die fast 6 % verdankten die Klein- und Kleinstparteien einer ihnen zu Teil werdenden überproportionalen medialen Aufmerksamkeit. Dabei mag ehrliches Interesse der Schreiber*innen und Leser*innen an neuen Listen ebenso eine Rolle gespielt haben wie strategische Überlegungen der konservativen und rechten Medien, an der Zersplitterung des linken Lagers ein bisschen mitzuhelfen. Das konnte man zuletzt schon bei einigen Regionalwahlen beobachten. 

Die größte Fehlentscheidung aus linker Sicht war freilich die Wahl Andreas Bablers zum Parteichef und Spitzenkandidaten der SPÖ. Wobei diese nur der Höhepunkt der 2016 eingetretenen Neuorientierung der Sozialdemokratie war, die FPÖ-Wähler*innen rechts liegen zu lassen und den Fokus auf Grün-, teilweise auch auf NEOS- und KPÖ-affine Kreise zu legen. Damals hatte der Wahlerfolg Alexander Van der Bellens sämtliche rote Alarmglocken schrillen lassen. Van der Bellen war am 24. April in die Stichwahl der Bundespräsidentenwahl eingezogen, nicht der von der SPÖ nominierte Rudolf Hundstorfer, der ein Debakel erlitt. Parteichef Werner Faymann musste zurücktreten. Bemerkenswerterweise hatte die Faymann-SP zuvor serienweise Wahlen gegen ÖVP und FPÖ verloren (insgesamt 18 von 20 in seiner Kanzlerschaft), aber eine Niederlage gegen die Grünen war zu viel. Mit Christian Kern wurde nun ein Spitzenmann in Stellung gebracht, der junge, urbane, gebildete und weibliche Wähler*innen – das Potential der Grünen – ansprechen sollte. Die Kehrseite dieser Entwicklung: Die SPÖ hatte damit die traditionelle Arbeiterschaft quasi aufgegeben und der FPÖ überlassen. Dabei blieb es auch unter Kerns Nachfolgerin Pamela Rendi-Wagner und letzten Endes auch unter Andreas Babler. Dessen „Working Class“-Habitus begeisterte Wiener Intellektuelle bzw. eine gewisse, gerne auch als „Links-Twitter“ bezeichnete Bubble, aber keineswegs die „Working Class“ und nur einen Teil der eigenen Funktionärsriege. Übrig blieb das schlechteste Wahlergebnis der SPÖ in der Zweiten Republik. Die SPÖ erreichte mit Babler aber zwei offiziell nicht kommunizierte, weil unpopuläre, strategische Ziele, nämlich die Grünen zu schwächen und die KPÖ aus dem Nationalrat zu halten. Für eine Partei, die nach wie vor den Alleinvertretungsanspruch für die politische Linke stellt, ist das ein Erfolg. Gerade dieser Alleinvertretungsanspruch stellt jedoch diese progressiven Kräfte vor das Dauer-Dilemma, weit entfernt vom einer Mehrheit zu sein und das Land vor das Dauer-Dilemma, quasi für alle Ewigkeit schwarz-blaue Mehrheiten erleben zu müssen. 

Die Unfähigkeit, eine längerfristige Strategie zur Durchbrechung dieser Spirale entwickeln zu können, der Zersplitterung etwas entgegenzusetzen, Wähler*innen außerhalb des eigenen enggefassten Spektrums zu gewinnen usw. usf. ist die derzeit augenscheinlichste Gemeinsamkeit der österreichischen Linken. Dabei würde ein Blick nach rechts reichen, um zu sehen wie es geht: Dort bereiten Think Tanks, Interessenvertretungen, Wirtschaftskreise, Lobbys mit Scharnierfunktion zwischen den beiden großen Parteien und Medien nicht nur rechte Mehrheiten sorgsam vor, sondern oft auch schon Eckpunkte von Koalitionsverträgen – manchmal schon Jahre vor den entscheidenden Urnengängen. Vergleichbares gibt es links der Mitte nicht; die Notwendigkeit eine solche langfristige Strategie zu entwickeln und die dafür nötigen Strukturen aufzubauen (und vorher überhaupt mal ein Bewusstsein für deren Notwendigkeit zu schaffen) aber allemal. Dafür muss die SPÖ runter vom hohen Ross. Die Grünen müssen beginnen, sich mit Strategie intensiver zu befassen. Die KPÖ sollte ernst genommen werden. Ebenso die NEOS. Die Zivilgesellschaft muss eingebunden werden, ohne zu versuchen ihr ein Parteimascherl umzuhängen. Die Intelligenzia muss anfangen, den Rest des Landes außerhalb der Universitätsmauern wahrzunehmen. Sektierer und Spalter muss man draußen halten. Und alle miteinander müssen wir mal unsere Partikularinteressen hintanstellen und das Gemeinsame nach Vorne. Dann klappt das vielleicht irgendwann einmal.

Die Nationalratswahl 2019 und die türkeistämmigen WählerInnen

Rund 3,2 % der ÖsterreicherInnen, etwa 270 000 Menschen, haben Migrationshintergrund „Türkei“. Eine wieder mal heiß umkämpfte WählerInnengruppe

Diesmal keine „türkische“ Liste

Bemühungen aus dem SympathisantInnen-Umfeld der türkischen Regierungskoalition (AKP sowie die rechtsextremen „Grauen Wölfe“/MHP) eine bundesweite Kandidatur einer „MigrantInnenliste“ auf die Beine zu stellen sind diesmal rasch gescheitert. Zu schnell und unverhofft kam der Wahltermin, zu zerstritten sind die AkteurInnen.

Bei den Wahlen 2017 hatte in Vorarlberg die „Neue Bewegung Zukunft“/NBZ kandidiert, sie steht heuer nicht mehr am Wahlzettel. Man hatte damals noch große Pläne, wollte bundesweit antreten. Doch es reichte nur fürs Ländle, wo man mit 2724 Stimmen einen kleinen Achtungserfolg verbuchte – bundesweit bedeuted dies aber gerade mal 0,05 %. Noch mehr zu schaffen macht der NBZ die Abspaltung einer nun eigenständigen Liste „Heimat aller Kulturen“/HAK. Bei den Vorarlberger AK-Wahlen im Frühling 2019 wurde man von dieser vernichtend geschlagen: Über 6 % erzielte HAK, die NBZ schaffte keine 2 % mehr und verlor 3 ihrer 4 Kammerräte. Vermutlich wird die HAK im Ländle also die NBZ als Partei des türkischen rechten Spektrums ablösen; derzeit konzentriert sich HAK auf die Vorarlberger Landtagswahlen am 13.10.2019. Freilich hat man auch dort nur Außenseiterchancen. HAK dürfte sich auch der Sympathie der türkischen Regierung erfreuen. Wohl nicht zufällig residieren das türkische Generalkonsulat und die HAK auch im gleichen Gebäude in Wolfurt. HAK-Gründer Murat Durdu war zuvor führend für die „Grauen Wölfe“ aktiv.
Eine weitere neue, ähnliche Liste ist „Soziales Österreich der Zukunft“ (SÖZ), die im Juni in Wien präsentiert wurde. Die Partei um Hakan Gördü, der 2016 als Vize-Chef der Erdoğan-treuen „Union Europäisch-Türkischer Demokraten“ (UETD) zurücktrat, will 2020 bei den Gemeinderatswahlen in Wien antreten. Bei SÖZ wirken vor allem ehemalige AnhängerInnen von „Gemeinsam für Wien“ und der NBZ.

Verhältnis zu den anderen Parteien

Ohne „türkische“ Liste werden die aus der Türkei stammenden WählerInnen mit den „alten“ österreichischen Parteien Vorlieb nehmen müssen, so wie sie es auch bislang größtenteils taten. Um die Stimmen der Linken buhlen vor allem die Grünen und die KPÖ. Die Grünen schicken Berivan Aslan ins Rennen, die schon von 2013 bis 2017 im Nationalrat war, als erste kurdisch-stämmige Abgeordnete. Die linke Menschrechtsaktivistin ist das Hassobjekt der türkischen rechsextremen und Islam-Fundis; umso mehr erfreut sie sich in der Linken, vor allem der kurdischen, an Anerkennung. Viele dieser Vereine und „Opinion Leader“ unterstützen Aslan bzw. die Grünen.
Bei der von der KPÖ angeführten linken Liste steht mit Zeynep Arslan eine renommierte Sozialwissenschafterin und Autorin auf Platz 3 der Bundesliste. Dazu kommen einige KandidatInnen aus den Reihen der DIDF, der „Föderation Demokratischer Arbeitervereine“. Diese steht der türkischen, marxistischen Emek Partisi nahe, und hatte bislang meist die SPÖ unterstützt. Nun folgt man dem deutschen Beispiel, wo mit Sevim Dağdelen eine DIDF-Frau für die „Linken“ im Bundestag sitzt. Ein weiterer Grund für den Bündniswechsel könnte das Liebäugeln der SPÖ mit rechten und rechtsextremen Kreisen aus der Türkei sein. So findet sich das Porträt von Pamela Rendi-Wagner derzeit bei den Linzer „Grauen Wölfen“ in der Stube – unweit von denen der Faschistenführer Türkeş und Bahceli:

Lokal von „Avrasya“ (Screenshot facebook)

Die miese Gesellschaft wurde Rendi-Wagner vermutlich von ihren Linzer GenossInnen eingebrockt, die sich zwar nach dem Mauthausen-Skandal 2016 von „Avrasya“ distanziert haben, was aber spätestens seit letztes Jahr wieder obsolet ist. Das zeigen eine Reihe dokumentierter Besuche von SPÖ-PolitikerInnen bei den „Grauen Wölfen“, zuletzt vom Juli 2019. Unterstützung erhält die SPÖ aber auch aus dem kemalistischen Lager ebenso wie von AKP-AnhängerInnen (z. B. AKP Linz). In Westösterreich rufen führende „Graue Wölfe“ zur Wahl des SPÖ-Kandidaten Tarik Mete auf, obschon sich dieser wiederholt von solchen Kreisen distanzierte.

Offizielle Wahlempfehlungen der Verbände und Vereine gibt es vor allem im konservativen und rechten Spektrum jedoch kaum. Generell scheinen die Communities zunehmend politisch enthaltsamer, vermutlich auch, weil sie selbst kein großes Wahlkampfthema sind. Zudem sind türkeistämmige KandidatInnen kaum wo auf aussichtsreichen Plätzen zu finden.

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