aus: ANTIFA-FORUM 2013
Gegen Nazimusik ist fast jeder – doch die Einschätzung der Graubereiche bereitet Schwierigkeiten
„Frei.Wild“ in Wels und Kufstein
Allgemeines Erstaunen bei FreundInnen und GenossInnen rief es hervor, als ich im April 2013 NICHT dazu aufrief, das geplante Konzert mit „Frei.Wild“ in Wels zu verhindern.
Geschrieben hatte ich: „Allerdings halte ich ihre Distanzierung vom Neonazismus für glaubwürdig. Die Ansichten der „Frei.Wild“ sind (…) durchschnittlich (…). Ich bin keineswegs der Meinung, dass man diese Konzerte verbieten sollte. Vielmehr sollte man sie zum Anlass nehmen, den Vormarsch rechter und konservativer Ansichten gerade bei österreichischen Jugendlichen zu thematisieren und zu diskutieren.[1]“
Nun kennen wir den Ausgang in Wels. Das „Frei.Wild“-Konzert wurde abgesagt. Thematisiert oder diskutiert wurde gar nichts und das fand ich schade.
Im Tiroler Kufstein ging man den anderen, wie ich meine unbequemeren, aber sinnvolleren Weg: „Frei.Wild“ durften ungestört auftreten. Zuvor gab es aber eine Reihe von Veranstaltungen, Medienberichten und viele, viele kleine Debatten in Cafes und Klassenzimmern zu den Problemen, die wir AntifaschistInnen mit vielen Textpassagen dieser Musiker haben. Ich war in dieser Zeit einige Tage in Kufstein und vom Niveau der Gespräche, auch mit AnhängerInnen der Band, überrascht. Das Ziel der antifaschistisch bewegten Menschen war auch nicht, den Fans ihre Leidenschaft für die Band ausreden zu wollen, oder sie gar pauschal in eine rechtsextremes Ecke zu stellen, sondern sie selbst zu einer kritischen Auseinandersetzung anzuregen: Mit Heimat und Nation, mit den von „Frei.Wild“ kolportierten Männlichkeits- und Identitätsbildern. Natürlich liefen die Fans nicht in Scharen zur „Gegenseite“ über, aber ich denke, es wurden viele Nachdenkprozesse in Gang gesetzt, und auch viele Vorurteile über Linke und AntifaschistInnen widerlegt oder zumindest aufgeweicht. Die wochenlangen Diskussionen haben für die Kufsteiner Jugendlichen einen wahren Politisierungsschub gebracht, wie mir eine lokale Grün-Politikerin sagte.
So sehe ich also das „Frei.Wild“-Konzert in Kufstein, dass stattgefunden hat, als größeren Erfolg für die AntifaschistInnen denn jenes in Wels, das nicht statt gefunden hat, an. Auch wenn dieser Erfolg nur schwer messbar ist.
Die „Hinichen“ in Wien
In Wien krachte es letzten Herbst ordentlich. Da war ein Auftritt der Proll-Rock-Truppe „Die Hinichen“ im honorigen, städtisch geförderten Gasometer geplant. Die „Hinichen“ erfreuen ihre Fans und verärgern alle Menschen mit Menschenverstand mit Texten wie:
„Wir mischen auf im Frauenhaus, wir peitschen die Emanzen aus, wir treiben die Lesben vor uns her, das fällt uns Kerl´s gar net schwer“
und dergleichen mehr, das ich hier gar nicht wiedergeben will, weils gar zu blöd und ekelhaft ist. Jedenfalls wird Gewalt gegen Frauen ungeniert propagiert. Dagegen protestierte vor allem der Kultursprecher der Wiener Grünen, Klaus Werner Lobo, und erreichte letzten Endes eine Absage des Konzertes. Erfreulicherweise, wie ich meine! Aber warum bin ich im Falle von „Frei.Wild“ für Toleranz und Diskussion, im Falle der „Hinichen“ für den Zensurknüppel? Der Unterschied besteht für mich darin, dass die „Hinichen“ ganz konkret Gewalt gegen eine ganz konkrete Personengruppe fordern, gegen die auch ein ganz konkretes, reales Bedrohungsszenario vorliegt. Es vergeht in Wien und anderswo vermutlich kein Tag, wo nicht eine Frau ins Kranken- oder Frauenhaus geprügelt wird und wahrscheinlich kein Monat, wo keine Frau Todesopfer männlicher Gewalt wird. Den Herren von „Frei.Wild“ kann man hingegen rechte (keine neonazistische!) Gesinnung, aber nicht einmal beim schlechtesten Willen konkrete Gewaltaufrufe gegen real Bedrohte unterstellen.
Gangsta-Rap überall
Mit „Frei.Wild“ und ohne die „Hinichen“ kann ich mich also wohl noch argumentativ halbwegs schlüssig durchschummeln. Was tun aber mit der Flut gruppenbezogener Menschenfeindlichkeiten, Mord-, Allmachts- und Gewaltphantasien und vulgärster Sexismen, die unter dem Hip Hop, Gangsta- oder Battlerap-Label daherkommen? Bushido, Shindy, Haftbefehl, Kool Savas oder Fler[2] dominieren die Charts und füllen die Hallen. Geschlossene rechtsextreme Weltbilder kann man ihnen nicht vorwerfen, Hetze gegen einzelne (auch real bedrohte) Personengruppen wie Homosexuelle oder auch das Verbreiten antisemitischer Stereotype sehr wohl. Einzelne Konzerte abzusagen, wie in Österreich schon geschehen, oder auch den CD-Verkauf einzuschränken, wie es in Deutschland passiert, können der Verbreitung solcher Musik in Internet-Zeiten kaum mehr etwas anhaben. Auch wird diese Musik mit ihren Inhalten von tausenden Nachwuchs-Rappern reproduziert. Das noch irgendwie zu kontrollieren, können wir vergessen. Umso wichtiger ist es, sich hier der Diskussion zu stellen; zumindest einen Teil der Kids kann man vermitteln, warum man die propagierten „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeiten“ ablehnt. Eltern, LehrerInnen und JugendarbeiterInnen sind hier herausgefordert. Hip Hop ist zur Weltsprache der Marginalisierten, zum wichtigsten Medium der Verdammten dieser Erde, geworden. Manches was sie uns zu sagen haben wird uns nicht gefallen.
Trotzdem, so gefährlich musikalisch dargebotene Hasspredigten sein mögen, sollten wir die Kirche im Dorf lassen: Rassismus und Homophobie gabs auch von Eric Clapton, Guns `n` Roses oder Ted Nugent – und deren AnhängerInnen sind darob nicht allesamt Rechtsextreme oder andere Menschenfeinde geworden.
Thomas Rammerstorfer