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„…unterstütze unser ruhmreiches Heer mit deinen Engeln“: Die Kriegspropaganda des Diyanet

„…unterstütze unser ruhmreiches Heer mit deinen Engeln“
„…vernichte sie in einer kurzen Zeit“
„wir haben eine Heimat, die mit dem Blut der Märtyrer durchgeknetet ist“

Die Propaganda des türkischen staatlichen „Präsidiums für religiöse Angelegenheiten“ (Diyanet) strotzt derzeit nur vor Kriegslüsternheit. Ein paar Beispiele aus den letzten Wochen:

„Gebete in 90 Tausend Moscheen für die Operation Frühling des Friedens“ (10. Oktober 2019)

Präsident Erbaş, der an die Muftiate von 81 Provinzen eine Anweisung gesandt hat, damit während der Operation in allen Moscheen vor dem morgendlichen Gebet die Sure al-Fath rezitiert und gebetet wird, hat in der Anweisung folgendes zum Ausdruck gebracht:

“In der Operation Frühling des Friedens, die für die Sicherheit unseres Landes, das Gewahrsam unserer Nation, den Frieden und das Heil in unserer Region eingeleitet wurde, wünsche ich unseren heldenhaften Sicherheitskräften viel Erfolg; ich bitte den Rabb, unser ruhmreiches Heer mit seiner Kraft und Macht immer siegreich zu machen.

Damit die für die Sicherheit unseres Landes, das Gewahrsam unserer Nation, den Frieden und das Heil in unserer Region durch unsere tapferen Sicherheitskräfte eingeleitete Operation Frühling des Friedens erfolgreich abgeschlossen wird, wird in all unseren Moscheen nach dem Morgengebet die Sure al-Fath rezitiert und für unsere Armee und die Nation gebetet. Wir erwarten all unsere Geschwister.”

Präsident Erbaş wird morgen in der Hacı-Bayram-Moschee in Ankara an dem Programm im Morgengebet teilnehmen, damit die Operation Frühling des Friedens siegreich abgeschlossen wird.

Präsident Erbaş, der an die Muftiate von 81 Provinzen eine Anweisung gesandt hat, damit während der Operation in allen Moscheen vor dem morgendlichen Gebet die Sure al-Fath rezitiert und gebetet wird, hat in der Anweisung folgendes zum Ausdruck gebracht:

“Die Geographie, in der wir leben, hat im Laufe der Geschichte immer den Appetit derer geweckt, die heimtückische Pläne schmieden. Die Vernunft unserer geliebten Nation, unsere heldenhafte Armee und der Mut unserer Sicherheitskräfte haben es nicht ermöglicht, dass diese heimtückischen Bestrebungen verwirklicht werden. Auch ab sofort wird man es durch Allah’s Erlaubnis nicht mehr zulassen. Während unsere heldenhaften Soldaten für die Etablierung von Recht und Gerechtigkeit in unserer Geographie kämpfen, haben sie sich immer zu den Unterdrückten und gegen die Tyrannen gestellt. Dieser ruhmreiche Kampf; hat es sich zum Motto gemacht, Hoffnung für die Unterdrückten und die Opfer zu sein, die Sicherheit der Grenze unseres Staates zu gewährleisten und für die von jahrelangem Schmerz und Tränen geprägten Regionen und die Menschheit Frühlinge des Friedens zu sein. Und unsere edle Nation steht immer zu unserer heldenhaften Armee und unseren Sicherheitskräften, hat nie ihre materielle und moralische Unterstützung, ihr Segen versagt. Ich bitte um Kenntnisnahme und um Unternehmung der erforderlichen Schritte, damit während der Operation vor dem Morgengebet in allen Moscheen die Sure „Al-Fath“ in all unseren Moscheen vor den Morgengebeten rezitiert und gebetet wird, mit der Bitte, dass unsere militärischen Einheiten und Sicherheitskräfte, die den Terrorismus im Inland und im Ausland, insbesondere im Osten des Euphrat, bekämpfen, glorios und siegreich sein werden.”

Quelle: hier

„Siegesgebet für die Operation Frühling des Friedens in 90 Tausend Moscheen“ vom 15. Oktober 2019

Damit die Operation Frühling des Friedens im Norden Syriens, eingeleitet durch die türkischen Streitkräfte gemeinsam mit der syrischen Nationalarmee gegen die Terrororganisationen PKK/YPG und DAESH siegreich abgeschlossen wird, wurden in allen Moscheen während des Morgengebets die Sure al-Fath rezitiert und gebetet.

An dem Programm in der Hacı Bayram Moschee, nahmen der Parlamentssprecher Mustafa Şentop und Prof. Dr. Ali Erbaş, Präsident für religiöse Angelegenheiten, teil.

Erbaş, Präsident für religiöse Angelegenheiten, der in dem Programm vor dem Morgengebet einen Abschnitt der Sure al-Fath rezitierte, hat in seinem Gebet folgendes zum Ausdruck gebracht:

“Oh Rabb, leiste göttliche Hilfe für unsere Armee”

“Oh Rabb, segne die Operation unserer Sicherheitskräfte für die Gewährleistung der Sicherheit unseres Landes, des Wohlergehens unserer Nation, des Friedens und der Rettung in unserer Region; leiste mit Deiner göttlichen Hilfe und Deiner Macht Unterstützung für unsere Armee!

Oh Rabb, helfe unserer Armee, die gerade jetzt wieder gegen die Pläne der tyrannischen und brutalen Kräfte, welche jede Ecke der islamischen Welt besetzen wollen, und für das Wohlergehen unserer Nation und unserer Region, der Schaffung von Frieden und Sicherheit, für die Würde der Umma, für die Heiligkeit, mit deinen Engeln, wie bei Badr, leiste göttliche Hilfe, beehre uns mit deiner Macht!

“Oh Rabb, gebe uns Vernunft gegen alle Arten von Machenschaften, Hetze und Fallen”

Lass unseren Ruhm, unsere Würde, unsere Ehre, unsere Heiligtümer nicht mit Füssen treten! Mein Allah, gebe jenen keine Gelegenheit, die unseren Gebetsruf zum Schweigen bringen und unsere herrliche Fahne niederreißen wollen. Schütze unsere Nation, unsere Heimat, unser Land vor allen Arten von inneren und äußeren Machenschaften, Hetzen, die den Fortbestand unserer Nation erschüttern!

Mein Allah, gebe den Verrätern, die es auf unsere Einheit, Solidarität, Heimat, unser Wohlergehen und unsere Brüderlichkeit abgesehen haben, keine Gelegenheit! Oh Rabb, gewähre uns Vernunft und Besonnenheit gegen alle Arten von Machenschaften und Hetze, arglistige Täuschungen und Fallen!

Mein Allah, lass unsere Einigkeit und Zusammengehörigkeit, unser Frieden und unsere Brüderlichkeit dauerhaft und bleibend sein! Schütze uns davor, uns zu spalten, uns aufzuteilen, in Konflikte zu geraten! Mein Allah, gebe denjenigen keine Gelegenheit, die Hass, Wut und Groll unter den Mitgliedern unserer Nation säen wollen, lass uns wachsam sein in Bezug auf diejenigen, die Hetze treiben!

Mein Allah, habe alle Märtyrer ewig selig, die für ihr Glauben, ihre Heimat, ihre Nation, ihre Werte, um des Rechts – der Wahrheit willen ihre heilige Existenz, ihr Leben geopfert haben; gewähre unseren Veteranen dringende Heilung und eine gesegnetes Leben!”

“Mein Allah, lass unsere Nation, unsere Armee für ewig dauerhaft sein”

Mein Allah, lass unsere Nation, unsere Armee, unser Land ewig dauerhaft sein; lass unsere Einheit und Zusammengehörigkeit als Nation, unsere Brüderlichkeit, stark und ewig sein!

Lass den Glauben, dass es als die grösste Würde angesehen wird, für die Religion, das Iman, die Nation, die Heimat, das Recht, die Wahrheit, die Gerechtigkeit, den Anstand, die Tugend zu kämpfen und erforderlichenfalls auf diesem Wege zum Märtyrer zu werden; in unseren Herzen, in unserer Generation, in den Herzen unserer edlen Nation nicht fehlen!”

Quelle: hier

Erbaş, Präsident für religiöse Angelegenheiten, hat in Muğla für die Soldaten ein Gebet gesprochen vom 18. Oktober 2019

Prof. Dr. Ali Erbaş, Präsident für religiöse Angelegenheiten, ist im Rahmen der „Provinztreffen“ nach Muğla gegangen.

Erbaş, Präsident für religiöse Angelegenheiten, hat an dem ersten Programm in dem Morgengebet in der Moschee Şahidi teilgenommen, dass durch das Provinzmuftiat organisiert wurde, damit die „Operation Frühling des Friedens“ erfolgreich abgeschlossen wird.

In dem Programm, an dem neben den Bürgern auch Soldaten und Spezialeinsatzpolizisten teilgenommen haben, wurde vor der Verrichtung des Morgengebets die Sure al-Fath rezitiert, nach dem Gebet wurde Gotteslobpreisung durchgeführt und ein Gebet gesprochen.

Erbaş, Präsident für religiöse Angelegenheiten, der in dem Programm einen Abschnitt aus der Sure al-Fath rezitiert hat, hat mit dem Gebet für die Soldaten folgende Bitte geäussert:

“Oh mein Rabb, helfe all unseren ruhmreichen Soldaten, unserer ruhmreichen Armee, all unseren Sicherheitskräften, die derzeit darum kämpfen, Frieden über unsere Grenzen hinaus zu bringen, Machenschaften, Umtriebe und Terrororganisationen zu beseitigen, die es auf unsere Nation und unser Heimatland abgesehen haben!

Gebe den Verrätern, die es innerhalb und außerhalb unseres Landes auf unsere Nation abgesehen haben, keine Gelegenheit, und vernichte sie in einer kurzen Zeit mit der Manifestation des Namens „Kahhar“ mein Rabb! Mein Rabb, Du hast all unseren Vorfahren mit deinen Engeln geholfen, die in Badr, Uhud gekämpft und Grabenkriege durchgeführt haben gegen die Tyrannen, um den Opfern beizustehen und Frieden zu bringen! Oh mein Rabb unterstütze unser ruhmreiches Heer mit deinen Engeln und helfe ihnen mit den Besten! Gib ihnen Kraft, Stärke und gewähre, dass unser Volk, unser Staat immer und ewig dauerhaft ist!

Mein Rabb baue die Bindungen der Liebe, des Respekts und der Unterhaltung zwischen uns. Geben den Hetzern, Unruhestiftern, Störenfrieden keine Gelegenheit, die versuchen, uns gegeneinander auszuspielen! Wenn es möglich sein sollte, zeige Ihnen den rechten Weg oder falls dies nicht möglich sein sollte, heile sie und richte alle Arten von Tricks und Intrigen, Fallen, die sie in Bezug auf unsere Nation aufgestellt haben, gegen sie!

“Mein Allah mache Sie erfolgreich gegen den Feind”

Mein Allah, Du befiehlst im Koran „als Du geschossen hast, hast Du nicht geschossen, aber Allah hat geschossen“. Alle unsere Militärpersonen, unsere Soldaten, schießen in Kenntnis dieses Verses, mache ihre Abschüsse treffsicher. Mein Allah helfe ihnen gegen den Feind!

Mein Rabb, es ist ein Panzer für sie, dass Du deine gläubigen Diener schützt. Oh Rabb beschütze sie auf die schönste Weise mit deinem Panzer, mein Allah, beschütze sie vor allem Übel, das vom Feind kommt!”

Quelle: hier

“Wir werden unser Heimatland gemeinsam von diesen Terroristen und Verrätern säubern” vom 18. Oktober 2019

Prof. Dr. Ali Erbaş, Präsident für religiöse Angelegenheiten und seine Ehefrau Seher Erbaş, die im väterlichen Haus des bei der Operation Frühling des Friedens zum Märtyrer gewordenen angestellten Schützen Ahmet Topçu einen Kondolenzbesuch abstatteten, wünschten dem Vater des Märtyrers Feyzi, der Mutter Müslüme und dem Bruder Mertcan Topçu Beileid.

In seiner Rede im Beileidszelt vor dem Haus des Märtyrers im Stadtteil Mamak in Ankara sagte Erbaş, Präsident für religiöse Angelegenheiten: „Als Nation befinden wir uns gerade in einer großen Operation mit der Bezeichnung Frühling des Friedens jenseits der Grenze. Vornan unsere ruhmreiche Armee, sind wir alle als Nation, in einem Zustand des Feldzugs.“

Präsident Erbaş erinnerte daran, dass sie als Präsidentschaft für religiöse Angelegenheiten in den Morgengebeten in den Moscheen die Sure Al-Fath für den Erfolg der Operation rezitieren und fuhr fort: „Dies ist die Pflicht von uns allen. Weil diese Nation gemeinsam eine Heimat aufgebaut hat und hoffentlich werden wir gemeinsam unser Land von diesen Terroristen, Verrätern säubern. Wir machen eine Terror-Säuberung. Wir sind nicht als Nation im Krieg, wir führen diese Operation durch, um die Terroristen als Nation vollständig zu beseitigen. Diese Arbeiten werden seit ca. 30-40 Jahren fortgesetzt. Hoffentlich wird ein Ergebnis jenseits der Grenze erreicht mit der großen Unterstützung und der Gebete unserer Nation sowie durch die Bemühungen unserer ruhmreichen Armee. Möge Allah der Allmächtige uns allen helfen.”

Präsident Erbaş, teilte mit, dass die Nation immer lebendig sein wird, solange die Einigkeit und der Zusammenhalt fortbestehen und brachte zum Ausdruck „wir haben eine Heimat, die mit dem Blut der Märtyrer durchgeknetet ist. Hoffentlich wird unsere Nation das Unheil des Terrors gemeinsam überwinden“.

“PKK-Leute greifen die Moschee an und zeigen somit, wie sehr sie Feinde der Moscheen und des Islam sind”

Präsident Erbaş, der sich auch zum Vorfall äußerte, dass die Anhänger der Terrororganisation PKK / PYD in der nordrhein-westfälischen Stadt Herne, eine Moschee und türkische Geschäfte in der Umgebung beschädigten, fuhr fort:

“Natürlich üben Terroristen überall terroristische Aktivitäten aus. Genau wie in unserem Land haben 300 Mitglieder der Terrororganisation PKK gezeigt, wie sehr sie hämisch, Moscheen- und islamfeindlich sind, indem sie heute in Deutschland eine Moschee angegriffen haben. Und wir sagen, solange diese Nation steht, wird unsere Fahne niemals herunterfallen, unser Gebetsruf wird niemals verstummen, unsere Tempel, unsere Moscheen werden niemals durch Fremde berührt. Wir kämpfen dafür. Wo immer wir sind, haben wir versprochen, unsere Heimat und unsere Heiligtümer von diesen zu säubern und als Nation sind wir in dieser Hinsicht entschlossen.“

Quelle: hier

Rechtschreibung im Original.

20. November 2019: Buchpräsentation „Die Macht des Diyanet“ in Linz

Die Macht des Diyanet – das türkische Präsidium für Religionsangelegenheiten und sein Einfluss im deutschsprachigen Raum

Buchpräsentation und Diskussion
Mittwoch, 20. November 2019 von 18:30 bis 21:30
Grünschnabel, Landgutstraße 17, 4040 Linz
Gastgeber: Die Grünen Interkulturell

Immer wieder befindet sich der Moscheeverband ATIB im Zentrum kontroverser Diskussionen. Gern in den österreichischen Medien als „verlängerter Arm“ der Türkei bezeichnet, werden ihm AKP-Hörigkeit, Spitzeldienste sowie islamistische, nationalistische Propaganda, Indoktrinierung von Kindern und ein rückwärtsgewandtes Frauenbild vorgeworfen.

In ihrem Buch versuchen Marina Wetzlmaier und Thomas Rammerstorfer die Kontroversen um die Diyanet-nahen Verbände im deutschsprachigen Raum objektiv, realistisch und dennoch kritisch darzustellen. Zum Schluss diskutieren wir die Frage nach dem Umgang mit ATIB in Österreich.

Neues Buch: Die Macht des Diyanet. Das türkische Präsidium für Religionsangelegenheiten

Unser Buch über das türkische Präsidium für religiöse Angelegenheiten und seinen Einfluss auf die Türkei-stämmigen MigrantInnen v. a. in Deutschland und Österreich ist erschienen. Erhältlich im Buchhandel 🙂

Die Nationalratswahl 2019 und die türkeistämmigen WählerInnen

Rund 3,2 % der ÖsterreicherInnen, etwa 270 000 Menschen, haben Migrationshintergrund „Türkei“. Eine wieder mal heiß umkämpfte WählerInnengruppe

Diesmal keine „türkische“ Liste

Bemühungen aus dem SympathisantInnen-Umfeld der türkischen Regierungskoalition (AKP sowie die rechtsextremen „Grauen Wölfe“/MHP) eine bundesweite Kandidatur einer „MigrantInnenliste“ auf die Beine zu stellen sind diesmal rasch gescheitert. Zu schnell und unverhofft kam der Wahltermin, zu zerstritten sind die AkteurInnen.

Bei den Wahlen 2017 hatte in Vorarlberg die „Neue Bewegung Zukunft“/NBZ kandidiert, sie steht heuer nicht mehr am Wahlzettel. Man hatte damals noch große Pläne, wollte bundesweit antreten. Doch es reichte nur fürs Ländle, wo man mit 2724 Stimmen einen kleinen Achtungserfolg verbuchte – bundesweit bedeuted dies aber gerade mal 0,05 %. Noch mehr zu schaffen macht der NBZ die Abspaltung einer nun eigenständigen Liste „Heimat aller Kulturen“/HAK. Bei den Vorarlberger AK-Wahlen im Frühling 2019 wurde man von dieser vernichtend geschlagen: Über 6 % erzielte HAK, die NBZ schaffte keine 2 % mehr und verlor 3 ihrer 4 Kammerräte. Vermutlich wird die HAK im Ländle also die NBZ als Partei des türkischen rechten Spektrums ablösen; derzeit konzentriert sich HAK auf die Vorarlberger Landtagswahlen am 13.10.2019. Freilich hat man auch dort nur Außenseiterchancen. HAK dürfte sich auch der Sympathie der türkischen Regierung erfreuen. Wohl nicht zufällig residieren das türkische Generalkonsulat und die HAK auch im gleichen Gebäude in Wolfurt. HAK-Gründer Murat Durdu war zuvor führend für die „Grauen Wölfe“ aktiv.
Eine weitere neue, ähnliche Liste ist „Soziales Österreich der Zukunft“ (SÖZ), die im Juni in Wien präsentiert wurde. Die Partei um Hakan Gördü, der 2016 als Vize-Chef der Erdoğan-treuen „Union Europäisch-Türkischer Demokraten“ (UETD) zurücktrat, will 2020 bei den Gemeinderatswahlen in Wien antreten. Bei SÖZ wirken vor allem ehemalige AnhängerInnen von „Gemeinsam für Wien“ und der NBZ.

Verhältnis zu den anderen Parteien

Ohne „türkische“ Liste werden die aus der Türkei stammenden WählerInnen mit den „alten“ österreichischen Parteien Vorlieb nehmen müssen, so wie sie es auch bislang größtenteils taten. Um die Stimmen der Linken buhlen vor allem die Grünen und die KPÖ. Die Grünen schicken Berivan Aslan ins Rennen, die schon von 2013 bis 2017 im Nationalrat war, als erste kurdisch-stämmige Abgeordnete. Die linke Menschrechtsaktivistin ist das Hassobjekt der türkischen rechsextremen und Islam-Fundis; umso mehr erfreut sie sich in der Linken, vor allem der kurdischen, an Anerkennung. Viele dieser Vereine und „Opinion Leader“ unterstützen Aslan bzw. die Grünen.
Bei der von der KPÖ angeführten linken Liste steht mit Zeynep Arslan eine renommierte Sozialwissenschafterin und Autorin auf Platz 3 der Bundesliste. Dazu kommen einige KandidatInnen aus den Reihen der DIDF, der „Föderation Demokratischer Arbeitervereine“. Diese steht der türkischen, marxistischen Emek Partisi nahe, und hatte bislang meist die SPÖ unterstützt. Nun folgt man dem deutschen Beispiel, wo mit Sevim Dağdelen eine DIDF-Frau für die „Linken“ im Bundestag sitzt. Ein weiterer Grund für den Bündniswechsel könnte das Liebäugeln der SPÖ mit rechten und rechtsextremen Kreisen aus der Türkei sein. So findet sich das Porträt von Pamela Rendi-Wagner derzeit bei den Linzer „Grauen Wölfen“ in der Stube – unweit von denen der Faschistenführer Türkeş und Bahceli:

Lokal von „Avrasya“ (Screenshot facebook)

Die miese Gesellschaft wurde Rendi-Wagner vermutlich von ihren Linzer GenossInnen eingebrockt, die sich zwar nach dem Mauthausen-Skandal 2016 von „Avrasya“ distanziert haben, was aber spätestens seit letztes Jahr wieder obsolet ist. Das zeigen eine Reihe dokumentierter Besuche von SPÖ-PolitikerInnen bei den „Grauen Wölfen“, zuletzt vom Juli 2019. Unterstützung erhält die SPÖ aber auch aus dem kemalistischen Lager ebenso wie von AKP-AnhängerInnen (z. B. AKP Linz). In Westösterreich rufen führende „Graue Wölfe“ zur Wahl des SPÖ-Kandidaten Tarik Mete auf, obschon sich dieser wiederholt von solchen Kreisen distanzierte.

Offizielle Wahlempfehlungen der Verbände und Vereine gibt es vor allem im konservativen und rechten Spektrum jedoch kaum. Generell scheinen die Communities zunehmend politisch enthaltsamer, vermutlich auch, weil sie selbst kein großes Wahlkampfthema sind. Zudem sind türkeistämmige KandidatInnen kaum wo auf aussichtsreichen Plätzen zu finden.

Mehr zum Thema in dem Artikel Bizarre Allianzen: Türkische und österreichische Parteien: Nicht immer arbeitet zusammen, was zusammengehört

Vom Filmverleih zum Fußballteam: Neue Aktivitäten der Grauen Wölfe in Oberösterreich

Abdurrahman Alpaslan wurde Anfang 2016 einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Der Schriftführer des Linzer Graue Wölfe-Vereins „Avrasya“ verbreitete Bilder von sich in sozialen Medien: Darauf war er im KZ Mauthausen zu sehen, wo er auf einem Gedenkstein stehend stolz den (in Österreich mittlerweile verbotenen) „Wolfsgruß“ präsentierte. Andere Bilder zeigten ihn mit einem deutschen Gesinnungsgenossen, der den Hitlergruß darbot.

Darüber hinaus ist Alpaslan ein recht umtriebiger Geschäftsmann. Mit einem Wiener Kollegen eröffnete er 2018 den Filmverleih „Cinedex“, der türkische Filme in europäische Kinos bringt. Die Linzer Firma scheint zu laufen: Cinedex zeigt türkische Komödien im ganzen deutschsprachigen Raum, türkische Horrorfime in Belgien und Dänemark, selbst in Großbritannien ist man im Rennen. Neben „leichter“ Kost zeigt Cinedex aber auch rechtsextreme Propagandafilme: Kurtlar ve Çakallar hies einer dieser blutrünstige Schmonzetten, „Wölfe und Schakale“ zu deutsch. Ein Heldenepos über nach dem Putsch 1980 inhaftierten Rechtsextremen.
Gezeigt werden solche Filme in Sondervorstellungen in den diversen Multiplex-Kinos Europas. Kartenverkauf und Bewerbung übernehmen oft die lokalen „Grauen Wölfe“. So lief das auch schon seit einigen Jahren in einem Großraumkino in Linz-Land – seit 2018 geht man nun auf europaweiten Expansionskurs.

Während die oberösterreichischen „Grauen Wölfe“ im Filmgeschäft schon in der Europaliga mitspielen, begnügt man sich im Fußball noch mit der oberösterreichischen Kleinfeldliga. Dort kickt der „Avrasya SK“. Man hat aber größere Pläne, und sich im Juli 2018 auch als eigenständiger Verein konstituiert. Vereinsadresse ist das Lokal der „Grauen Wölfe“ in der Welser Eisenhowerstraße. Avrasya SK ist ambitioniert, versucht junge Leute über diverse Social Media-Kanäle anzusprechen und veranstaltete im Februar 2019 auch sein erstes eigenes Turnier. Ein Foto auf dem Instagram-Account zeigt die Burschen offenbar bei einem Turnier der „Freiheitlichen Jugend Wels“.

Avrasya SK`s Dachverband ist aber der SPÖ-nahe ASKÖ (1). Nur eines von mehreren Indizien, dass die nach des Herrn Alpaslans KZ-Eskapaden 2016 vermeintlich abgekühlte Liebe zwischen SPÖ und türkischer Rechter in Oberösterreich wieder aufgewärmt wurde. Im Juni 2018 wurden mindestens zwei Besuche von SPÖ-PolitikerInnen bzw. -FunktionärInnen bei den Linzer „Grauen Wölfen“ dokumentiert. Im Jänner 2019 durfte „Avrasya“ nach längerer Pause auch wieder mal in einer städtischen Einrichtung in Linz veranstalten (Volkshaus Harbach).

Die Beispiele für „Graue Wölfe“-Aktivitäten lassen sich leider noch fortsetzen. Da wäre ein Kampfsport-Event im März 2018 in Leonding gewesen, das von mehreren einschlägigen Teams zu einem türkisch-nationalistischen Spektakel umfunktioniert wurde (siehe hier). Vorwürfe der Spitzeltätigkeit wurden im Herbst 2018 nach der Verhaftung einer Türkei-stämmigen Demokratin in der Türkei laut. Oberösterreichische Wölfe waren auch Ende März 2019 im Kommunalwahlkampf in der Türkei im Einsatz. Hinzu kommen die laufenden Aktionen informell Organisierter und der bestehenden Vereine in Linz, Wels, Ried im Innkreis und Lengau sowie einer Abspaltung in Braunau.

(1) Der ASKÖ wurde darüber Mitte Februar informiert, Konsequenzen wurden bis dato keine gezogen. Bis heute (8. April 2019) wird Avrasya SK als Mitgliedsverein geführt.

###UPDATE### 8. April 2019 ###UPDATE###

Laut Information des ASKÖ wurde der Avrasya SK am 29. März 2019 per einstimmigen Beschluss ausgeschlossen. Meine Annahme einer bestehenden Mitgliedschaft fußte darauf, dass der Avrasya SK sowohl in der Landes- also auch in der Bundesliste der ASKÖ-Mitgliedsvereine wie auch im Zentralen Vereinsregister des Innenministeriums als ASKÖ-Mitgliedsverein aufscheint.

Fall Hülya Yilmaz: Foltervorwürfe gegen türkische Beamte

Neue Entwicklungen im Fall der unschuldig inhaftierten Welserin: Während auch die österreichischen Behörden sämtliche Ermittlungen gegen Hülya Yilmaz einstellten, hat diese ihrerseits Anzeige erstattet.
Nach einem Besuch bei ihrer kranken Mutter ist die Welser Kindergartenhelferin Hülya Yilmaz im Herbst 2018 festgenommen worden. 71 Tage befand sich die Österreicherin mit kurdisch-türkischen Wurzeln in Haft. Dabei wurde sie wiederholt geschlagen, ebenso wurden ihr wichtige Medikamente vorenthalten. Unter den körperlichen und psychischen Nachwirkungen leidet sie bis heute.
Die Bedingungen der Haft waren grauenhaft. Die Zellentüren durften nicht geöffnet werden, selbst bei unerträglich heißen Temperaturen. Yilmaz weiß von mindestens zwei Todesfällen im Gefängnis wegen unterlassener Hilfeleistung. Einmal musste ein 5-jähriges Kind den Tod der Mutter mit ansehen. Yilmaz selbst wurde mehrmals mit Gummiknüppeln attackiert, etwa, wenn sie bessere Bedingungen für die inhaftierten Kinder forderte.
Beim Verfassungsschutz hat sie nun Anzeige wegen des Verdachtes auf Folter erstattet, diese liegt nun bei der Staatsanwaltschaft Wels. Die Erfolgsaussichten im konkreten Fall sind natürlich gering. „Es geht aber darum, ein Zeichen zu setzen, wir können uns dieses Unrecht nicht einfach gefallen lassen“, so Hülya Yilmaz. „Vielleicht hilft es, solche Fälle in Zukunft zu verhindern“.
Thomas Rammerstorfer von den Welser Grünen: „Die Türkei hat gerade wieder großes Interesse sich als freundliches Touristenparadies zu präsentieren. Folter passt da nicht dazu.“ Nachdem Yilmaz im Dezember an die Öffentlichkeit ging, wurden alle gefangenen ÖsterreicherInnen frei gelassen. „Widerstand wirkt“, so Rammerstorfer, und „Österreich kann und muss den diplomatischen Druck erhöhen, damit sich die Menschenrechtslage dort wieder verbessert.“
Die Welser Grünen sammeln nun Geld, um Hülya Yilmaz bei ihren juristischen Auseinandersetzungen zu unterstützen:

Die Grünen Wels
AT53 3412 9000 0006 2786
BIC: RZOOAT2L129
Verwendungszweck: Gerechtigkeit (bitte unbedingt angeben)

Foto: Hülya Yilmaz, Thomas Rammerstorfer

Rappen gegen Israel: „Geeflow“ in Wien und Enns

Zwei Auftritte in Österreich, am 23. und am 24. Februar 2019, hat der deutsche Rapper „Geeflow“ angekündigt. Sein Genre ist der „Dini Rap“ (islamisch-religiöser Rap). Dagegen wäre freilich nichts einzuwenden, doch „Geeflow“ transportiert auch jede Menge hochpolitischer Inhalte, die vor Nationalismus und Hass auf Israel nur so strotzen.

Beim Besuch seiner facebook-Seite fällt zuerst der Blick auf einen fixierten Beitrag: „İsrail bir devlet değil ki başkent kudüs olsun“: „Israel ist kein Staat, deshalb kann Jerusalem nicht seine Hauptstadt sein“, wirds hier gleich programmatisch. Der Hass auf Israel ist quasi die Konstante im Werk des jungen Mannes aus Neumünster. So heißt es im Lied „Freiheit für Palästina“, offenbar an Juden gerichtet:

„Als Staat seit ihr ´ne Terrorbande“
„Mit Euch kann man nicht im Frieden Leben, weil ihr den Tod bringt“
„Ihr Monster, obwohl ihr auf der Liste von Schindler steht, tötet ihr“
„Ihr massakriert uns seit Jahren, ihr Teufelsgören“ (1)

Und so weiter, und so fort. Natürlich wird zwischendurch immer wieder mal beteuert, dass man ja nichts gegen Juden habe. Ähnlich der Track „Kriegsgeschichte“, inkl. Terrorphantasien: „Ich bin dieser Attentäter, transportiere dir den Tod in die Stadt“. „Unser Blut ist die Tinte, wir schreiben heute Kriegsgeschichte“ (2)

Auf älteren Tracks bekennt sich Geeflow noch weniger zum Islamismus, sondern vor allem zu den rechtsextremen „Grauen Wölfen“, zum ultra-nationalistischen und „osmanischen“ Größenwahn (Beispiel: „Die Osmanischen Söhne“). Nationalismus und Islam verbinden sich im Track „Hepimiz Mehmediz“.

In Österreich tritt Geeflow gemeinsam mit dem Koran-Rezitator Mustafa Özcan Güneşdoğdu auf. Veranstalter in Wien ist eine Abspaltung der „Grauen Wölfe“, die Viyana Alperen Ocakları. In Enns veranstaltet ATIB das Event, offenbar im Pfarrsaal der hiesigen katholischen Kirche.

(1) Geeflow: „Freiheit für Palästina“, zu hören https://www.youtube.com/watch?v=jFAQ1EwAGdA
(2) Geeflow/Tarafa: „Kriegsgeschichte“ hier

13. Juni 2018: „Türkei Wahl Spezial“ in Wien

Eine Wahl – zwei Bücher – eine Diskussion
Vortrag und Diskussion mit Thomas Schmidinger und Thomas Rammerstorfer

Beide stellen ihre Bücher vor und diskutieren im Anschluss mit euch die aktuelle Situation der Türkei, das Vorgehen des türkischen Staates gegen Kurd_innen und die “Grauen Wölfe” in Österreich.

Wann?
Mittwoch, 13.06.2018 20:00
Wo?
w23, Wipplingerstrasse 23, 1010 Wien

Mitten im Wahlkampf in der Türkei bzw. den Wahlen türkischer Staatsbürger_innen in Österreich präsentieren wir zwei Perspektiven auf die Probleme der Region und den türkuschen Nationalismus: Politikwissenschafter Thomas Schmidinger kommt mit seinem neuen Buch “Kampf um den Berg der Kurden – Geschichte und Gegenwart der Region Afrin”, der freie Journalist Thomas Rammerstorfer mit dem soeben erschienen Band “Graue Wölfe – türkische Rechtsextreme”.

Vortrag und Diskussion mit Thomas Schmidinger und Thomas Rammerstorfer. Beide stellen ihre Bücher vor und diskutieren im Anschluss mit euch die aktuelle Situation der Türkei, das Vorgehen des türkischen Staates gegen Kurd_innen und die “Grauen Wölfe” in Österreich.

Veranstaltungsbeginn 20:00

29. 8. 2016: Wohin geht die Türkei?

Inputs und Diskussion im Rahmen des Forums der Welser Initiative gegen Faschismus

Montag, 29. August 2016, 19 Uhr, Cafe Nöfas, Schubertstr. 8/Wels

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Inputs:
„Die Politik der AKP“ von Katharina Gusenleitner
„Vereine mit Türkei-Bezug in Österreich“ von Thomas Rammerstorfer

anschließend Diskussion

Katharina Gusenleitner ist Juristin und verfasste eine Masterarbeit im MBA-Studium zur Wirtschaftspolitik der AKP.

Thomas Rammerstorfer referiert und schreibt zu extremistischen Tendenzen u. a. in migrantischen Communities (Co-Autor des Buches „Grauer Wolf im Schafspelz“, 2012).

Beide sind Vorstandsmitglieder der Welser Initiative gegen Faschismus.

Lichter und Schatten Kurdistans

aus KUPF-Zeitung Nr. 142, 2012

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Ein Reisebericht aus dem Keller der Türkei von Katharina Gusenleitner und Thomas Rammerstorfer.

Weitgehend unbeachtet von der europäischen Öffentlichkeit tobt im Osten der Türkei seit bald 30 Jahren ein ungleicher Bürgerinnenkrieg. Katharina Gusenleitner und Thomas Rammerstorfer aus Wels sind Mitarbeiterinnen der „Liga für emanzipatorische Entwicklungszusammenarbeit“ und bereisten die Region im Frühling. In der kleinen Provinz Dersim lässt sich beispielhaft die Komplexität der Konflikte nachvollziehen.

Die Bürgermeisterin von Dersim kommt verspätet zum vereinbarten Treffen. Ein Begräbnis ist dazwischen gekommen, ein weiterer Freund, der das Gefängnis nicht mehr lebend verlassen hat. Wie viele ihrer Amtskolleginnen aus der Region grad „drin“ sind, weiß sie nicht genau: „Vier oder fünf. Letzte Woche ist einer raus gekommen, aber ich glaube der ist schon wieder drin.“ Auch einer ihrer Vizebürgermeister sitzt gerade; Alltag in Kurdistan. Die Taktik der Repressionen hat sich geändert. Massenvertreibungen und extralegale Tötungen wie in den 80er- und 90er-Jahren sind nicht mehr an der Tagesordnung, aber jegliche zivilgesellschaftliche Regung kann ins Gefängnis führen. Manchmal reicht auch ein kurdisches Wort oder das Hören kurdischer Musik. Jede Kurdin steht unter dem Generalverdacht des Terrorismus.
Beim Spaziergang durch die Stadt zeigt die Bürgermeisterin beiläufig auf ein Haus. Hier wurde sie nach dem Militärputsch 1980 mehrere Wochen gefangen und gefoltert, erzählt sie im Tonfall beiläufiger touristischer Erläuterung.

Knapp 30 000 Einwohnerinnen zählt Dersim, die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz im kurdischen Gebiet der Türkei. Es waren mal deutlich mehr, doch eine einmalige Geschichte an Vertreibungen und Massenmorden innerhalb der letzten hundert Jahre haben die Region entvölkert. 1915 waren die Armenierinnen in die Wüste getrieben und massakriert worden. Nach dem Ende des Osmanischen Reiches und dem Sieg der Atatürk-Partei im „Befreiungskrieg“ gegen die Besatzung der Westmächte wandte sich der türkische Chauvinismus gegen seine ehemaligen kurdischen Verbündeten. Für die kurdischen Gebiete war der Status einer innertürkischen Kolonie vorgesehen, als Rohstofflieferant und Absatzmarkt. Dafür wurden die in offizieller Diktion dort lebenden „Bergtürken“ als unzivilisiert und rückständig gebrandmarkt. Die Massaker von Dersim 1937/38 bildeten das vorläufige Ende kurdischer Bewegungen. Die Provinz wurde entvölkert und auf Jahre zum Sperrgebiet. 1945 als Tunceli wiedergegründet, blieb die Region eines der Zentren zivilgesellschaftlicher wie auch militanter kurdischer Bewegungen und wurde somit immer wieder Ziel staatlicher Disziplinierungsmaßnahmen.

Dersim ist ein Gefängnis. Der Talkessel ist gleichzeitig auch ein Kessel im militärischen Sinne. Auf allen Gipfeln rund um die Hauptstadt ist die Armee mit Wachtürmen, Zäunen, Scheinwerfern und Abhöranlagen eingegraben. An den Zufahrtswegen sind Checkpoints eingerichtet. Vor unserem Hotel lümmeln Zivilpolizisten. Militärhubschrauber kreisen über, Panzerfahrzeuge fahren durch die Stadt, die an sich eher einem idyllischen Bergdorf gleicht, was die Szenerie umso absurder erscheinen lässt.

Dersim ist die Freiheit. Zwischen weiten Teilen der Bevölkerung scheint ein stilles Einverständnis zu herrschen, ein gewisser Stolz, trotz allem hier zu leben, in einem Ort, der den Kurdinnen auf der ganzen Welt als Synonym für Widerstand gilt. Ein älterer Herr mit bestem kurdischen Kommunisten-Schnauzbart spricht uns auf Deutsch an. 1964 ist er als Gastarbeiter nach Deutschland gegangen, berichtet er, und seine sieben Kinder leben alle dort. Einer seiner Söhne habe sogar eine Deutsche geheiratet. „Sie ist zwar sehr schön“ meint er, um leicht wehmütig hinzuzufügen: „aber ihr Vater ist Kapitalist.“

Trotz oder gerade ob dieser teils widrigen Lebensumstände sind die Einwohner Dersims ziemliche Freigeister. Freidenkerinnen und liberale Menschen in einer Art Freiluftgefängnis.
Wir treffen nicht nur die Bürgermeisterin, sondern auch andere Gemeindebedienstete, größtenteils Frauen. Dersim ist in Frauenhand. Das bemerken wir auch, als wir dem Hauptgrund unserer Projektreise einen Besuch abstatten – dem Frauenzentrum, ein von der Bürgermeisterin in Kooperation mit LeEZA begründetes Projekt und Grund unserer Reise.
In diesem einzigen Frauenzentrum der Region können Frauen aus der Stadt und den umliegenden Dörfern psychosoziale sowie rechtliche Beratung in Anspruch nehmen. Die meisten Frauen, die in Dersim wohnen, sind Einheimische, bzw. Binnenflüchtlinge, deren Dörfer während des Krieges der 1990er Jahre durch das türkische Militär zerstört und in Brand gesetzt wurden. Andere mussten aufgrund der Staudammbauten, von denen diese Region betroffen ist, ihre Dörfer verlassen.
Das Zentrum stellt sich als dringend benötigte Einrichtung heraus, denn die Frauen der Umgebung sind von häuslicher Gewalt ebenso bedroht wie von Übergriffen durch das türkische Militär. Bei Gesprächen mit Betroffenen wird uns bewusst, welchen Wert diese Institution für die Frauen hat. Oft ist das Zentrum der einzige Zufluchtsort für Gewaltopfer und deren Kinder. Es gibt aber auch – sehr gut besuchte! – Kurse für Männer, wo über das Wesen patriarchaler Machtstrukturen diskutiert wird. Wir haben die Möglichkeit, mit einigen dort Beschäftigten (u. a. Soziologin, Krankenschwester, Psychologin) und einer Klientin zu sprechen, und sind geschockt und fasziniert zugleich. Geschockt von der Gewalt und den Lebensumständen, denen die Frauen oft ausgesetzt sind und der Tatsache, dass der Staat sein Übriges tut, um deren Situation noch zu verschlimmern, fasziniert von der für diese Gegend einzigartigen „Sozialarbeit“ , die in dem Zentrum geleistet wird.
Im Rahmen unseres Dersim-Aufenthaltes bekommen wir weiters noch Gelegenheit ein Jugendzentrum mit eigenem Theater (Kino), in dem jährlich zwei mittlerweile etablierte Filmfestivals stattfinden, sowie ein Krisenzentrum für Drogenabhängige (Dersim ist von einem aufkeimenden Drogenproblem betroffen) und eine Nachhilfeeinrichtung zu besuchen.
In all diesen Institutionen treffen wir auf Menschen, die tolle Arbeit machen und gerührt scheinen ob des Interesses, das LeEZA für Ihren Einsatz zeigt.
Als gäbe es nicht schon genug Probleme in der Region, wird auch noch der Fluss Munzur, der unterhalb des Städtchens und durch die umliegende Gegend fließt, mit einem Staudamm verdammt! Wir stehen oberhalb des Ufers und betrachten durch den Munzur-Staudamm bereits überschwemmte Häuser, Spielplätze und so manches andere Gebäude, das einmal dem Alltagsleben der Bevölkerung diente.
Es ist kein Ende in Sicht, die Überschwemmungen werden in ihrer menschenverachtenden Weise vorangetrieben. Ziel ist die völlige Kontrolle des Wassers in der Region, vor allem zur Nutzung durch industriell betriebene, exportorientierte Landwirtschaft: Man braucht Devisen um die Industrialisierung voranzutreiben. Gleichzeitig schränkt die Mega-Staudämme die Bewegungsfreiheit der Guerilla ein. Allein der Atatürk-Staudamm ist viermal so groß wie der Bodensee, zigtausende mussten ihm weichen. Den Menschen wird die Lebensgrundlage entzogen. Von Landwirtschaft zu leben ist für die Kleinbäuerinnen kaum mehr möglich, es bleibt der Weg in die Elendsquartiere der Großstädte. Am Vortag unserer Abreise entdecken wir ein charmantes Lokal am Flussufer und besuchen selbiges gleich mittags und abends. Der Munzur, oder was davon übrig ist, zeigt seine Anziehungskraft bei Tag und bei Nacht gleichermaßen. Angesichts der „Verdammung“ genießen wir frischen Munzur-Fisch mit gemischten Gefühlen.
Die Türkei erscheint heute als dreigeteiltes Land. Der liberale, konsumorientierte Westen, die religiös geprägte Mitte und der kurdische Osten, die über einen Kolonialstatus nicht hinauskommt, und in dem ein Bürgerkrieg derzeit niederer Intensität tobt. Das Hegemoniekonstrukt des türkischen Nationalismus verbindet die AKP mit dem sunnitischen Islam. Die Widersprüche werden sich damit vielleicht oberflächlich kaschieren lassen – und das auch nur in Zeiten wirtschaftlicher Prosperität –, gelöst sind sie noch lange nicht.

Wer die Arbeit von LeEZA bzw. das Frauenzentrum in Dersim unterstützen möchte: Infos auf www.leeza.at. Dort findet sich auch ein ausführlicher Bericht über die weiteren Stationen der Reise.

Mag.a Katharina Gusenleitner, geboren in Wels, Studium der Rechtswissenschaften in Wien, Sprach-, Rhetorik- und Schauspielausbildung in Linz, Vorstandsmitglied im Verein „Reizend“, Vorsitzende des Vereins zur Förderung der Medienvielfalt, derzeit beschäftigt als Juristin für u.a. Unternehmensrecht und im MBA-Studium.

Thomas Rammerstorfer, geboren in Wels, aktiv u. a. beim Infoladen Wels und LeEZA. Inhaltliche Schwerpunkte: Rechtsextremismus, Jugendkulturen, Türkei.